Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus: Analyse – Zugänge – Maßnahmen


Hintergrund: Antisemitismus unter Linken ist ein oftmals unterschätztes Phänomen. Gleichzeitig gehen Teile des linken Spektrums selbst gegen linke Militanz und Antisemitismus vor. Judenfeindlichkeit in seinen verschiedenen Erscheinungsformen – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb des linksradikalen Spektrums dar. Ein Teil der radikalen Linken bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und Antisemitismus und charakterisiert sich durch ihre öffentlich artikulierte Solidarität mit Israel.


Die Modellhaftigkeit und Innovationskraft des Präventionsvorhabens lag daher darin, dass entlang dieser Konfliktlinie nicht gegen die Linke, sondern aus einem Teil der radikalen Linken selbst heraus präventiv gegen linke Militanz und Antisemitismus vorgegangen wurde. Methodisch-innovativ war das Vorhaben, weil erstmals auf der Basis lokaler empirischer Befunde und durch Studierende Zugänge zur linken Szene eröffnet wurden.                                 


Forschungsfragen: In vergleichender Perspektive wurde danach gefragt, wie verbreitet welche Formen von Antisemitismus (manifester, latenter, sekundärer und israelbezogener) unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Rhein-Ruhr-Region mit unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Einstellungen, Glaubensformen, Selbstdeutungen und Wertorientierungen sind. Gibt es Antisemitismus unter Linken? Und falls ja: Für welche Formen sind Linke im Vergleich zu anderen Gruppen besonders anfällig? Spielen dabei eher Religionszu- und Staatsangehörigkeit sowie Migrationshintergrund oder die Radikalität der politischen Orientierung, spezifische Glaubensformen, persönliche Selbstdeutungen und Wertorientierungen eine Rolle? Mit anderen Worten: Kommt es eher darauf an, ob man Deutscher, Christ und Muslim ist oder nicht ist, oder nicht doch eher darauf, ob man Theist, Soziotheist oder Atheist bzw. Humanist, Sozialist und Naturalist ist? Welche Verbindungen bestehen zwischen gesellschaftspolitischer Orientierung und religiösen Werteorientierungen, säkularen Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort? Welche Mittel und Wege werden als legitim angesehen, um bestimmte Ziele zu erreichen?


Methodik: Ausgehend von einer Sekundäranalyse quantitativer, selbst erhobener Daten wurden zunächst in einer Feld- und Diskursanalyse Schriften (Flyer, Liedtexte, in sozialen Netzwerken) und Programmatiken linker Gruppen analysiert, um das Ideologie- und Gefährdungspotential einzuschätzen. Zudem wurden Interviews und Kleingruppengespräche mit Studierenden und Repräsentanten linker Parteien und Gruppierungen geführt und analysiert. Befragt wurden vornehmlich links-affine, religiös wie säkular orientierte Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Zuwanderungsgeschichte.


Ergebnisse/Ausblick: Die Sekundäranalyse der unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen vom RISP in der Region durchgeführten quantitativen Erhebung „Religion & Kultur an Rhein & Ruhr“ hat ergeben, dass Antisemitismus Bestandteil vieler, vielleicht sogar aller Glaubensformen, Selbst- und Weltdeutungen sein kann, aber nicht muss. Am wenigsten anfällig für die Ausgrenzung von Juden sind übrigens Atheisten, am gefährdetsten Soziotheisten, also Menschen, die exklusiv an einen Gott für ihr Volk glauben, und Rechtsextremisten. Israelbezogener Antisemitismus ist indes – in der Reihenfolge der Aufzählung – unter jungen Soziotheisten, Muslimen, Linken und Frauen verbreiteter als unter Rechten, Männern, Atheisten und Christen. Basierend auf den Erkenntnissen wurden zudem gemeinsam mit Studierenden der UDE Maßnahmen zu Radikalisierungsprävention entwickelt und erprobt. Durchgeführt wurden Peer-to-Peer-Coachings für Studierende, Fortbildungen für das lokale Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention und überregionale Multiplikatorenschulungen.


Wissenschaftliche Kooperationspartnerin dieses Modellprojekts ist die Universität Duisburg-Essen. Die Projektleitung dort hat Frau Prof. Dr. Susanne Pickel.


BMFSFJ


Laufzeit: 08/2017 - 12/2019

Projektleitung: Dipl.-Soz.-Wiss. Peter Krumpholz







Projektteam



Publikationen



Kooperationen

Lehrstuhl Frau Prof. Dr. Susanne Pickel



Detaillierte Projektbeschreibung

I. Projektziele Hauptziel des Projektes ist die Entwicklung von zugangserschließenden Ansätzen zum uneinheitlichen Milieu linker und linksextremer Gruppierungen, in denen sich vornehmlich Ju-gendliche und junge Erwachsene organisieren. Lokale Zugänge zur linken Szene sollen auf der Basis empirischer Befunde und durch Peer Groups eröffnet werden.


Erwartet werden Befunde, die auf ein überlappendes Feindbildspektrum („Querfront“) mit dem Rechtsextremismus und die gemeinsam geteilte Wahrnehmung gefühlter Ungerechtigkeit hinweisen, die es ggf. unter Anwendung von Gewalt auszumerzen gilt. Ferner erwarten wir, dass sich das Unbehagen an den „Verhältnissen“ auch in linksextremen Diskursen konkret in Abwertung von Demokratie, Phantasien der Abschaffung „des Systems“, Antiliberalismus und Parlamentarismuskritik zeigt. Gemeinsam dürfte auch die Verbindung von Kapitalismus, der als wichtiges Feindbild fungiert, und „jüdischer“ Urheberschaft sein und die Verquickung von Globalisierung, Zionismus und amerikanischem Imperialismus.


Perspektivisch werden die gewonnenen Erkenntnisse und daraus entwickelte Maßnahmen in das lokale Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention sowie die Politische Bildungsarbeit, Familienberatung und Schulsozialarbeit übertragen.


II. HandlungskonzeptDurch eine Diskurs- und Feldanalyse wird zunächst das ideologische Gefährdungs- und Radikalisierungspotential erhoben, das für und von der Anhängerschaft linker Gruppierungen ausgeht. Dabei wird insbesondere nach offenen oder verdeckten antiisraelischen und antijüdischen Tendenzen gefragt. Aufgrund heterogener, z. B. kurdisch stämmiger Jugendmilieus sind regionale Befunde zu erwarten, die andernorts eher untypische Ausrichtungen, Verknüpfungen und militante Handlungsoptionen aufweisen.


Um Zugänge zur Szene zu eröffnen, werden im Anschluss an die ideologische Gefährdungs- und Radikalisierungsanalyse Interviews von und mit Studierenden und Repräsentanten linker Parteien und Gruppieren geführt. Darauf aufbauend werden Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention entwickelt. Diese werden gemeinsam mit örtlichen Kooperationspartnern konzipiert und erprobt. Geplant sind u.a. Multiplikatorenschulungen mit Vertreter*innen aus Duisburger Parteien, Stadt- und Integrationsrat, Peer-to-peer-Coaching für Studierende und Fortbildungsangebote für Schulpsycholog*innen, Lehrer*innen, Schulsozial*arbeiterinnen.


Methodisch-innovativ ist das Vorhaben, weil erstmals auf der Basis lokaler empirischer Befunde und durch Studierende Zugänge zur linken Szene eröffnet werden. Dass insbesondere Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ein oftmals unterschätztes Phänomen des linksextremen Spektrums ist, ist aus fachlicher Perspektive nicht neu. Das Phänomen in Teilen des linken Spektrums – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb der deutschen Linken dar. Sie bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und Antisemitismus und charakterisiert sich durch ihre offen artikulierte Solidarität mit Israel. Eine weitere methodische Modellhaftigkeit und bisher noch nicht genutzte Innovationskraft unseres Vorhabens liegt daher darin, dass entlang dieser Konfliktlinie nicht gegen die Linke, sondern aus einem Teil der Linken selbst heraus radikalisierungspräventiv gegen linke Militanz und Antisemitismus vorgegangen wird.


III. Ausführliche Beschreibung des Vorhabens


1. Lokale Ausgangslage und Handlungsbedarf


Die Stadt Duisburg hat sowohl in Hinblick auf AS im linken Spektrum als auch auf die daraus hervorgehende innerlinke Konfrontation nicht erst seit kurzem einen zweifelhaften Ruf über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus. So kam es vor Ort in den letzten Jahren zu mehreren einschlägigen und auch in der bundesweiten Presse beachteten anti-israelischen und antisemitischen Vorfällen. Gerade die Partei Die Linke sah sich wiederholt mit dem Vorwurf des AS konfrontiert.


So sprach sich z.B. der damalige Oberbürgermeisterkandidat und Fraktionsvorsitzende im jüngsten Kommunalwahlkampf öffentlich für einen Boykott israelischer Waren aus. Nur zwei Jahre später tauchte auf der Website der Duisburger Partei Die Linke ein dezidiert antisemitisches Flugblatt auf, woraufhin auch Vertreter der eigenen Bundespartei Kritik äußerten. Die Verantwortlichen distanzierten sich zwar, der genaue Urheber blieb jedoch unbekannt. Eine innerparteiliche Auseinandersetzung blieb somit aus. Im Zuge des kürzlich wieder aufgeflammten militärischen Konflikts im Gaza-Streifen kam es im Anschluss an eine von der lokalen Jugendorganisation der Partei Die Linke, „solid“, organisierten pro-palästinensischen Kundgebung in Essen zur öffentlichen Skandierung etlicher antisemitischer Parolen und einem Angriff auf die zeitgleich stattfindende pro-israelische Kundgebung. Auffällig war hier der große Anteil an arabischstämmigen und mitunter dem islamistischen Milieu angehörigen Personen in der Gruppe der Angreifenden. Wenige Tage danach forderten TN einer Kundgebung des Duisburger Ablegers der orthodox-marxistischen und der MLPD nahestehenden Jugendorganisation „Young Struggle“ auf einem Plakat „Tod dem Zionismus“.


Die ideologischen Schnittmengen zwischen bestimmten Strömungen der Linken und islamistischen Gruppierungen in ihrer Feindschaft gegen “den Westen”, die USA und Israel zeigt sich vor Ort am Beispiel des sog. antiimperialistischen “Initiativ e.V – Verein von Demokratie und Kultur von unten”. Wegen ihrer Kooperation mit dem ebenfalls in Duisburg ansässigen Verein “Organization for Human Dignity and Rights” (HDR), welcher wiederholt der antijüdischen Propaganda bezichtigt wurde, fand der Initiativ e.V. mehrfach Erwähnung im Verfassungsschutzbericht des Landes NRW als “islamistische” Organisation. In der Vergangenheit beteiligte sich der Verein als deutscher Vertreter an einer Spendenaktion unter dem Titel “10€ für den irakischen Widerstand” zur Finanzierung der Baath-Partei nahestehender terroristischer Gruppierungen im Irak. Der HDR wiederum war trotz innerlinker Kritik im lokal durchaus bedeutsamen Bündnis “Duisburger Netzwerk gegen rechts” aktiv, welches regelmäßig zu Gegenprotesten anlässlich rechter Demonstrationen mobilisiert.


Beachtenswert ist zudem ein weiterer anti-emanzipatorisch geprägter Teil der Szene. In diesem linksextremistisch besetzten und zumindest rechtsoffenen Umfeld können sich verschwörungstheoretische und damit einhergehende antisemitische Denkmuster immer wieder durchsetzen. Das sich selbst als “Politpop-Band” bezeichnende Duisburger Hip-Hop Duo “Die Bandbreite” adressiert eine Querfront aus linksaffinen und rechtsoffenen Personen, wobei in den Songtexten stets die USA, Israel und Repräsentanten “des Kapitalismus” als geeignete Feindbilder fungieren.


Die beschriebenen Vorfälle und Konstellationen führten immer wieder zu Konflikten und gewaltsamen Konfrontationen mit lokalen Gruppen, die dem israel-solidarischen Flügel der Linken zuzuordnen sind. Die migrantisch geprägten Strukturen linksextremistischer Gruppen einerseits und die vereinzelten Querfrontbestrebungen andererseits stehen exemplarisch für die angespannte Situation in mehreren Duisburger Stadtteilen. In einigen Fällen geht die Struktur linksmilitanter Gruppen auf die Beschaffenheit örtlicher Gemeinde- und Familienstrukturen zurück, was deren Identifizierung und Zugang zwar erleichtert, den Umgang mit Konflikten auf inhaltlicher Basis jedoch erschweren kann. Besonders in Kreisen pro-kurdischer Organisationen mit kommunistischer Grundeinstellung wird beispielsweise auf bereits bestehende Infrastrukturen von Familienclans zurückgegriffen. Hieraus ergeben sich vermutlich die große Mobilisierungskraft und der Organisationsgrad solcher Gruppen.


Eine vom RISP im Jahr 2016 durchgeführte standardisierte Befragung unter ca. 800 Jugendlichen an Bildungseinrichtungen in der Rhein-Ruhr-Region hat nicht nur gezeigt, dass sich auffällig viele Muslime als extrem links einschätzen, sondern auch antisemitische Einstellungen unter der Mehrheit dieser Gruppe überproportional verbreitet sind. Israelbezogener Antisemitismus übernimmt dabei häufig die Rolle einer Artikulationsform latenter Judenfeindschaft, die sich in sozialen Netzwerken, Schulhofgesprächen und Studierendendebatten manifestiert.


2. Hauptziel und Ziele des Modellvorhabens


Die Konzeption des Modellprojektes reagiert auf das Phänomen linksextremistischer ideologischer Entgleisungen, die in spezifischen Jugend- bzw. Studierendenmilieus vor Ort in Duisburg und Umgebung sowie der hiesigen Hochschullandschaft zu beobachten sind. Obschon einige – indirekt zu Kenntnis gelangende – Informationen über die Existenz und die ideologische Denkungsart diverser politisch-linker Gruppierungen oder parteipolitischer Vorfeldorganisationen bekannt werden, ist es zur Anwendung präventiver Maßnahmen unabdingbar, direkten Zugang zu diesen Gruppierungen zu erarbeiten.


Hauptziel des Vorhabens “Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus“ ist somit die Entwicklung zugangserschließender Ansätze zum heterogenen Milieu linker und linksextremer Gruppierungen vor Ort, die sich offen oder verdeckt gegen Juden richten. Des Weiteren sollen in Kooperation mit unseren ProjektpartnerInnen Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention konzipiert und erprobt werden.


Die Ziele werden wie folgt gefasst:


1.) Diskurs- und Feldanalyse der in Duisburg und Umgebung ansässigen linken bzw. linksradikalen Gruppierungen mit antisemitischen Haltungen und Aktivitäten: a) Textanalyse (Flugblätter, Songtexte, Flyer etc.); b) Internetanalyse (soziale Netzwerke); c) Programmanalyse


2.) Zugangserschließende Ansätze: a) qualitative Interviews mit Studierenden und weiteren Hochschulmitgliedern; b) Expertengespräche mit Repräsentanten der verschiedenen Gruppen (Parteien im Duisburger Stadt- und Integrationsrat, Jugendorganisationen); c) Tiefeninterviews mit SchulsozialarbeiterInnen, SchulpsychologInnen; LehrerInnen, Eltern


3.) Konzeption und Erprobung von Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention: a) Multiplikatorenschulung (Vertreter der Parteien im Integrationsrat, kurdische Bewegung); b) Peer-to-peer-Coaching für Studierende; c) Fortbildungsangebote für SchulsozialarbeiterInnen und LehrerInnen


4.) Vorstellung der entwickelten Ansätze und erprobten Maßnahmen in der Kommune und in Fachkreisen.


Bereits im Verlauf des Interessenbekundungsverfahrens ist den antragstellenden ProjektmitarbeiterInnen deutlich geworden, dass das Phänomen “Linke Militanz” in der Duisburger Stadtgesellschaft sowie der Hochschullandschaft der Universität Duisburg-Essen ein ernstzunehmendes Problem darstellt. Überdies war bereits oberflächlich ersichtlich, dass das Phänomen vor Ort eindeutige Spezifika aufweist:


1.) Im Hinblick auf die Hauptzielgruppe – Jugendliche und Studierende, die sich dem linken Spektrum zuordnen -, ist ein hoher Anteil ethnisch, kulturell bzw. religiös geprägter junger Menschen zu verzeichnen, die als muslimisch oder kurdisch stämmig zu bezeichnen sind.


2.) Auch aufgrund dieser Tatsache sind ideologische Prämissen zu erwarten, die andernorts eher untypische Ausrichtungen, Verknüpfungen und militante Handlungsoptionen gewärtigen.


Ziel der ersten Projektphase wird es also sein, die Leerstellen analytisch zu definieren und sie zu füllen. Daraus sollte sich ergeben, wo genau Zugänge in radikalisierungsgefährdetes Milieu zu erschließen sind, und ebenso wichtig, wie und mit welchen notwendigen präventiven Inhalten dies geschehen sollte. Beides trägt zum übergeordneten Gesamtprojektziel bei, d.h. der Erschließung sowie belastbaren Entwicklung von Zugängen in das heterogene Milieu linksradikaler (bzw. an der Schwelle zum Linksextremismus sich befindlicher) Gruppierungen im Großraum Duisburg und der hiesigen Universitätslandschaft. Fokussiert werden insbesondere diejenigen Gruppen, die implizit oder direkt “judenfeindlich” agitieren oder gar agieren. Nachgelagertes Hauptanliegen ist dann (im Verbund unserer ProjektpartnerInnen) die kooperative Entwicklung von Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention.


3. Methodisches Vorgehen


Die Diskurs- und Feldanalyse zu Beginn dient zunächst einer Bestandsaufnahme linksextremistischer Gruppierungen in Duisburg und Umgebung mit antisemitischen Tendenzen, wobei aktuelle Themen erkannt, Debatten abgegrenzt und Positionen sortiert werden sollen. Der Zugang zu den einzelnen Gruppierungen soll über Einzelgespräche, qualitative Interviews und Expertengespräche erschlossen werden. Der gewählte Zugang ist nicht “paternalistisch-dozierend”, sondern aufsuchend, wertschätzend und akzeptierend.


Bei den Kleingruppen- und Einzelgesprächen sind vor allem die existentiellen Selbstdeutungen der Jugendlichen und jungen Menschen von Interesse. Befragt werden vornehmlich links-affine, religiös wie säkular orientierte Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Zuwanderungsgeschichte. Zweck der Untersuchung ist es herauszufinden, welche Verbindungen es zwischen den gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen, insbesondere im Hinblick auf manifeste oder latente antisemitische Einstellungsmuster und Tendenzen, den individuellen Werteorientierungen sowie den verschiedenen religiösen Implikationen vor dem Hintergrund welcher Selbstdeutungen, Lebensgeschichten und Erfahrungen vor Ort gibt. Es soll auch danach gefragt werden, welche Mittel und Wege als legitim angesehen werden, um bestimmte Ziele, die für die persönliche oder kollektive “Emanzipation” und “Befreiung” als erstrebenswert angesehen werden, zu erreichen (Verhältnis zu Gewalt und Rechtsstaatlichkeit).


Die empirische Erhebung mittels Diskursanalyse und Tiefeninterviews ermöglicht Aussagen über das Gefährdungspotential und Ausmaß der Radikalisierung. Dabei sind mehrere Risikofaktoren zu berücksichtigen, die sich im Prozess der Radikalisierung gegenseitig verstärken können: a) erlebte Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Perspektivlosigkeit; b) Übernahme vermeintlich logischer Erklärungsansätze mit Absolutheitsanspruch (Dogmatismus, Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, Fanatismus) und c) Mobilisierung durch gruppendynamische Prozesse (öffentliche Demonstrationen, Netzwerke, Suche nach dem “Kick”).


Anhand spezifischer Merkmale (u.a. Abschottung der eigenen Gruppe gegen “die anderen”, Gewaltbereitschaft) soll das Gefährdungspotential der einzelnen Gruppierungen bzw. deren Mitglieder erhoben werden. Darauf aufbauend sollen schließlich Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention entwickelt und gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern sowie deren TeilnehmerInnen in Fortbildungen, Coachings, Peer-to-peer-Arbeit lokal erprobt werden. Perspektivisch soll durch komplementäre Vernetzung der entwickelten Maßnahmen in Ergänzung zur Politischen Bildungsarbeit, Familienberatung und Schulsozialarbeit ein Beitrag zum bestehenden lokalen Community-Education Netzwerk zur Radikalisierungsprävention geleistet werden.


4. Fachlicher Bedarf und Innovationsgehalt des Modellvorhabens


Das Phänomen der Linken Militanz wird insofern unterschätzt, als vergleichbare(s) Opferzahlen und Gewaltpotential wie beim Rechtsextremismus vermeintlich nicht zu konstatieren sind. Mit Blick auf ein überlappendes Feindbild-spektrum und die Wahrnehmung gefühlter großartiger Ungerechtigkeit – die global, lokal und personal erkannt wird – und die es ggf. unter Anwendung von Gewalt auszumerzen gilt, ist eine Berücksichtigung auch des Linksextremismus geradezu geboten. Das abstrakte Unbehagen an den “Verhältnissen“ manifestiert sich in sowohl rechts- als auch linksextremen Diskursen konkret in Demokratiedistanz, Religionskritik, Phantasien der Abschaffung „des Systems“ resp. der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ordnung, Antiliberalismus und Parlamentarismuskritik. Unter den zu fokussierenden ideologischen Facetten sind vor allem die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols bis hin zur aggressiven Bekämpfung seiner Repräsentanten, die Engführung einer fundamentalen Kapitalismuskritik auf jüdische Urheberschaft, deren vermeintliche Verquickung mit Globalisierung, Zionismus und (vor allem so wahrgenommenen) amerikanischem Imperialismus zu nennen. Um den Übergang von (links-) radikaler Haltung in (links-) militante bzw. extremistische Handlung zu verstehen, ist eine komplementäre Betrachtung der individuellen lebensgeschichtlichen Entwicklung (soziales und familiäres Milieu, psychische Dispositive) im Zusammenspiel mit krisenhaften Momenten in der Identitätssuche und Werteorientierung vonnöten. Zusammenhänge mit der vor allem in der Jugendkultur verankerten erlebnisorientierten Suche nach „dem Kick” sind ebenso wenig zu vernachlässigen.


Dass insbesondere AS in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ein gemeinhin unterschätztes Phänomen des linksextremen Spektrums ist, ist aus wiss. Perspektive nicht neu. Gerade in Teilen der radikalen Linken hält sich jedoch hartnäckig die Annahme, die eigene Weltanschauung sei gegen AS grundsätzlich immun und schließe diesen per definitionem aus. Auf diese moralische Selbstüberhöhung reagiert z.B. die innerlinke Strömung der sog. “Anti-Deutschen”, die die Existenz linken AS explizit benennen. Das Phänomen AS in Teilen des linken Spektrums – vor allem im Gewand des Antizionismus oder vermeintlich legitimer „Israelkritik“ – stellt spätestens seit Ende der 1990er Jahre eine entscheidende Konfliktlinie innerhalb der deutschen Linken dar. Sie bricht offen mit der traditionellen antiimperialistischen Linken, problematisiert deren Antizionismus und AS und charakterisiert sich weiterhin durch ihre offen artikulierte Solidarität mit Israel. Im lokalen Handlungsfeld ist überdies eine nahezu homogene Ethnisierung der linksextremen Szene aufweisbar, namentlich z.B. PKK-affiner oder kurdischstämmiger Akteure sowohl im lokalparlamentarischen wie außerparlamentarischen Kontext in Form von gewachsenen bzw. bestehenden Milieus, Familienstrukturen und stud.-universitären Zusammenhängen. Hier sind gar Einzelfälle junger Linksradikaler (z.B. die gebürtige Niederrheinerin Ivana Hoffmann, gest. 2015 in Syrien) bekannt geworden, die im bewaffneten Konflikt umkommen. Dieser sowohl wissenschaftlichen wie präventionspolitischen Leerstelle soll Rechnung getragen werden, wobei die in dem heterogenen linksextremen Milieu vorfindbaren Spannungspole von moralischer Selbstüberhöhung und Kollektivabwertung berücksichtigt werden sollen.


5. Kooperation und Vernetzung


Von konkreter Kooperation ist bei einigen hier zu nennenden Organisationen bzw. linken Gruppierungen mit Blick auf Verdacht von Verfassungsfeindlichkeit nicht auszugehen. Nichtsdestotrotz ist über indirekte Vernetzung Zugang zu diversen Gruppen hergestellt bzw. herstellbar. Dabei kann das RISP auf langjährig bestehende Arbeitsbeziehungen zur Schulpsychologischen Beratungsstelle, zum Kommunalen Integrationszentrum sowie zum Integrationsrat der Stadt Duisburg und den darin vertretenen Parteien zurückgreifen. Zudem bestehen über eigene Lehrveranstaltungen, Lehrstühle der Politik- und Bildungswissenschaften und Soziologie sowie permanente Kontakte zu studentischen Mitarbeitern und Praktikanten vitale Beziehungen in die Hochschulöffentlichkeit Universität Duisburg-Essen hinein.


Die Kooperationspartner sind:


1.) Universität Duisburg-Essen, Fak. für Gesellschaftswissenschaften, Institut für Politikwissenschaft, Prof. Dr. Susanne Pickel2.) Studierende der Universität Duisburg-Essen, die sich gegen AS und Antizionismus engagieren3.) Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Duisburg4.) LehrerInnen, SchulsozialarbeiterInnen und Eltern aus Duisburg und Umgebung mit und ohne Migrationshintergrund5.) Strategische Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum Duisburg (KI) mit Zugang zum Integrationsrat der Stadt Duisburg


Das Rhein-Ruhr-Institut verfügt seit vielen Jahren über gewachsene und verlässliche Kontakte zu Akteuren der lokalen Bildungs- und Integrationsarbeit. Über die die enge Kooperation mit dem Duisburger KI und den angegliederten Migrantenselbstorganisationen, aber auch die kirchlichen Träger (Ev. Familienbildungsstätte, Kath. Familienbildungsstätte, jüdische Gemeinde, Moscheevereine) ist das RISP in zahlreiche integrationspolitische Netzwerke, Round-Tables etc. aktiv eingebunden. Des Weiteren besteht über das KI Zugang zum Integrationsrat der Stadt Duisburg und den dort vertretenen Parteien. Nicht zuletzt verfügt das RISP über die jahrelange Zusammenarbeit mit der Schulpsychologischen Beratungsstelle der Stadt Duisburg und der aktiven Teilnahme an Vernetzungstreffen u.a. zum Thema Radikalisierungsprävention an Schulen über zahlreiche Kontakte zu Lehrkräften und SchulsozialarbeiterInnen mit und ohne Migrationshintergrund.


6. Zielgruppen und deren Erreichung


Linke Gruppen mit Ansätzen von militanter Gesinnung agieren zumeist im Verborgenen. Deren Mitglieder, sofern sie überhaupt öffentlich auftreten, meiden die Bekanntmachung ihrer Angehörigkeit in diesbezüglichen Umfeldern. Hinzu kommt, dass eine geographische Zuordnung über Stadtteile zwar annähernd möglich ist, die konkrete Identifikation und Abgrenzung von unabhängig operierenden Gruppen bleibt jedoch weiterhin schwierig.


Duisburg als Universitätsstadt mit einer äußerst heterogenen Studierendenschaft eröffnet hingegen den Zugang zu Schnittmengen einer linksextremistischen Szene mit institutionalisierten Vereinigungen im hochschulpolitischen Umfeld. So traten ab spätestens 2015 mehrere Mitglieder der ehemaligen “Roten Antifa” in Hochschulgruppen auf und kandidierten mit der Liste “United Students”. Dieser gegenüber wurden immer wieder Antisemitismus- und Denunziationsvorwürfe laut. Aus dem Umfeld der “Roten Antifa” wurden zuvor gewaltsame Übergriffe auf Andersdenkende bekannt, der Ruf des Netzwerks aus damit verbunden Ablegern und bundesweit aktiven Splittergruppen prägte eindringlich das überregionale Bild der Duisburger linken Szene. Mit der “Roten Antifa” verknüpfte Gruppen wie “Young Struggle” oder das antiimperialistische “United Squad” sowie nicht zuletzt deren Ableger an der Universität Duisburg-Essen sind meist relativ instabil, indem sie sich rasch neu organisieren oder ihre Mitglieder andernorts aktiv werden.


Teilweise separat davon zu betrachten sind Zielgruppen mit kurdischem Hintergrund, die häufig in enger Verbindung mit den oben genannten stehen und überdies eigene, oft auch international ausgerichtete Interessen verfolgen. Dies sind unter einigen anderen die Duisburger Zellen der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) oder der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK). Letzteres verdeutlicht erneut den Vorteil eines zugangserschließenden Ansatzes über die Hochschule. Zwar scheinen die MLKP und die ihr ähnlichen Gruppen vor Ort vordergründig friedlich zu handeln, ihr Mobilisierungspotential für den bewaffneten Kampf an der Seite der kurdischen Befreiungsbewegung wird jedoch mit prominenten Fällen wie dem Ivana Hoffmanns deutlich.


Zur Erschließung von Zugängen zu linksextremistischen Milieus besteht aufgrund der institutionellen Nähe zur Universität Duisburg-Essen die Möglichkeit einer direkten oder indirekten Kontaktaufnahme über die Studierendenschaft. Wo linke Gruppen im öffentlichen Raum oft in diffusen Kontexten agieren, sind deren Mitglieder innerhalb des akademischen Umfelds in manchen Fällen als Hochschulgruppen oder studentische Vereinigungen an der Universität organisiert. Indem hier personelle und ideologische Schnittmengen offengelegt werden, erleichtert sich die Gestaltung einer Kontaktaufnahme.


Die Vernetzung des RISP über die eigenen studentischen Hilfskräfte, die Lehrenden und die Verfasstheit als An-Institut bedeuten große Vorteile bei der vertrauensvollen Etablierung von Zugängen. Auftretende Konflikte wie bei der Kandidatur der Hochschulgruppe “United Students” zum Studierendenparlament im Juni 2015 werden häufig offen ausgetragen und weisen auf Konstellationen und innerlinke Verhältnisse im gesamten Stadtgebiet hin. Die öffentliche Kritik an “United Students” aus konkurrierenden Teilen des linken Spektrums machtdeutlich, inwiefern Konflikte im Hochschulumfeld zutage treten, verstanden und aufgearbeitet werden können.


Da mit dem akademischen Umfeld nur ein begrenzter Teil des Milieus erreicht werden kann, ist zudem eine gezielte Vernetzung mit gesellschaftspolitischen Akteuren in den jeweiligen Stadtteilen nötig. Wie erwähnt, nutzen vor allem die migrantisch geprägten Gruppen eine in deren Communities bestehende Infrastruktur, was weniger ein strategisches Kalkül sein muss, als vielmehr den langjährig gewachsenen Verhältnissen folgt.


Zielgruppenzugänge über politische Parteien und Organisationen sowie Gemeindevertreter und Vertreter von MSO sind neben weiteren Akteuren vor Ort somit elementarer Bestandteil einer überlegten Präventionsarbeit.


7. Arbeitsschritte und Meilensteine


Projektphase I (August bis Dezember 2017): Um Zugang zu linksradikalen Szenen, Milieus und Gruppierungen zu erschließen, ist zunächst mit einer inhaltlich-analytischen Untersuchung zu beginnen. Zu diesem Zweck ist eine dreigliedrige Diskurs- und Feldanalyse anzustellen, die


(a) in vielfältiger Textanalyse (Meilenstein 1, August bis Dezember 2017), (b) einer u.a. sozialmedialen Internetanalyse (Meilenstein 2, August bis Dezember 2017) und einer© partei- sowie hochschulpolitischen Programmanalyse (Meilenstein 3, August bis Dezember 2017) besteht.


Die hier zu erwartenden Ergebnisse sind zugleich die Voraussetzung für das weitere zielführende Vorgehen, mithin das Erreichen des Projektzieles. Der Projektgegenstand erfordert es, im Rahmen einer explorativen Untersuchung, die vorliegenden, ausgetauschten und verbreiteten Ideologiegehalte deskriptiv zu analysieren, sie zu ordnen und sie im Hinblick auf Extremismusaffinität im Allgemeinen, wie auf antisemitisch-verschwörungstheoretische Anschlussfähigkeit im Besonderen zu beurteilen.


Im Anschluss an die inhaltlich-analytische Feld- und Diskursforschung ist die zugangserschließende Erhebungsphase einzuleiten, um daran anschließend wie darauf aufbauend Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention zu konzeptualisieren und zu erproben und sie anschließend weiternutzbar zugänglich zu machen.


Projektphase II (Januar bis Dezember 2018) Zugangserschließung zu linken/linksradikalen Szenen über:


a) über Studierende und weitere Hochschulangehörige; Methode: (10-15) Qualitative Interviews (Meilenstein 4)b) über Repräsentanten aus Duisburger Parteien, Stadtrat und Integrationsrat; Methode (10-15) Expertengespräche (Meilenstein 5) c) über SchulpsychologInnen, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen und Eltern; Methode: (10-15) Tiefeninterviews (Meilenstein 6)


Projektphase III. (Januar bis Dezember 2019)Konzeption und Erprobung von mind. zwei Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention:


a) Multiplikatorenschulung mit Vertretern aus Duisburger Parteien, Stadt- und Integrationsrat (Meilenstein 7)b) Peer-to-peer Coaching für Studierende (Meilenstein 8)c) Fortbildungsangebote für SchulpsychologInnen, LehrerInnen, SozialarbeiterInnen (MS 9)d) Dokumentation (Meilenstein 10)e) Vorstellung Kommune und Fachkreise (Meilenstein 11)


8. Fachliche und wissenschaftliche StandardsDas Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung e.V. als ein vom Wissenschaftsministerium des Landes NRW anerkanntes An-Institut der Universität Duisburg-Essen ist den Standards guter wissenschaftlicher Praxis verpflichtet. Bei der konkreten wissenschaftlich-pädagogischen Umsetzung unserer Maßnahmen werden zudem die Maßgaben des “Beutelsbacher Konsens” gewahrt.


Im hier beantragten Projektvorhaben werden überdies Erkenntnisse, Methoden und Theorien der interdisziplinären Extremismusforschung sowie die ideengeschichtlichen Grundlagen linker bzw. linksradikaler Ideologeme eingebracht.


Methodisch werden bei der beabsichtigten Verknüpfung von Theorie und Praxis, insbesondere bei der Entwicklung zugangserschließender Maßnahmen zu den Zielgruppen, neben den Instrumenten der empirischen Sozialforschung und Diskursanalyse auch Ansätze der Handlungs- und Aktionsforschung von Nutzen sein.


Mit Blick auf die anzunehmende Bedeutsamkeit der individuellen lebensweltlichen und milieuspezifischen Entwicklung Jugendlicher und Heranwachsender sind die Erkenntnisse aus Sozial- und Entwicklungspsychologie handlungsleitend.


Über die verschiedenen Ansätze der Extremismusforschung hinaus werden wir in dem Projekt auch eine religionspolitologische Perspektive einnehmen, um die den extremistischen Ausprägungen zugrundeliegenden Einstellungen zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, aber auch die individuellen Werteorientierungen und religiösen Glaubensvorstellungen in den Blick zu bekommen. So hat unsere im Jahr 2016 durchgeführte Befragung (s.o.) ergeben, dass bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund, die sich politisch selbst als „links“ einschätzen, Religion, insbesondere in sozio-theistischer Ausprägung, eine signifikante Rolle spielt. Ebenso weist der vornehmlich in linken Kreisen vorfindbare israelbezogene AS auf religiöse Implikationen in Form einer moralischen Überhöhung des eigenen Kollektivs (Volk, Nation, Gruppe) bei gleichzeitiger Abwertung der das eigene Kollektiv bedrohenden Juden hin.


9. Gender- und Diversity-Mainstreaming und Inklusion


Gender-Aspekte werden über alle Phasen des Projekts berücksichtigt. Bei den Tiefeninterviews ebenso wie bei der Erprobung unserer Maßnahmen, die sich vor allem an Studierende der Universität Duisburg-Essen, an SchülerInnen und Akteure der Integrations- und Bildungsarbeit richtet, werden selbstverständlich Mädchen/Frauen und Jungen/Männer eingeschlossen, so dass geschlechtsspezifische Wahrnehmungs-, Selbst- und Weltdeutungsmuster sowohl bei der Diskursanalyse als auch Konzeption von Präventionsmaßnahmen beachtet werden können.


Ein Diversity-orientierter Ansatz kommt in dem Modellvorhaben – wie bereits in früheren Projekten erfolgreich erprobt – auf struktureller, inhaltlicher und methodischer Ebene zur Anwendung: Auf der strukturellen Ebene, indem unterschiedliche Zielgruppen in dem heterogenen Jugendmilieu vor Ort sowie staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure der Integrations- und Bildungsarbeit partizipativ in die Projektarbeit eingebunden werden. Inhaltlich wird ein weit gefasstes Verständnis von Diversity zugrunde gelegt, das über die klassischen Dimensionen Kultur/Ethnizität, Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung hinausgeht. Menschen unterscheiden sich in vielen Aspekten voneinander, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen und sich sowohl auf Gruppenzugehörigkeiten als auch individuelle Einstellungen, Werteorientierungen, Bedürfnisse und Interessen beziehen, so dass weitere Dimensionen von Diversity (personale, soziale, politische, religiöse, ökonomische) zu berücksichtigen sind. Dieses weite Verständnis von Diversity hat methodische Konsequenzen. Es reicht erfahrungsgemäß nicht aus, vorgefertigte Konzepte und Lösungen zu präsentieren, sondern diese sollen gemeinsam mit den Projektpartnern entwickelt und aus den jeweiligen Bedarfen hergeleitet werden. Bei der Entwicklung der Präventionsmaßnahmen wird auf pädagogische Vielfalt der Lern- und Lehrmethoden Wert gelegt, so dass Menschen mit unterschiedlichen biographischen Hintergründen, Fähigkeiten und Fertigkeiten inkludiert werden und deren aktive Teilnahme und Teilhabe gefördert wird.


10. Öffentlichkeitsarbeit


Wichtigster Teil der Öffentlichkeitsarbeit wird zunächst die Vorstellung des Vorhabens bei staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Kommune, die in Bildungs- und Präventionsarbeit der Zielgruppe tätig sind, bei Vertretern der lokalen Parteienlandschaft sowie den Organisationen und Institutionen der Hochschulpolitik an der Universität Duisburg-Essen sein.


Über diese und über die geplanten Interviews und Expertengespräche werden wir das Projekt in die lokalen und regionalen Netzwerke einbinden. Eine wichtige Rolle wird hierbei unter anderem die Nutzung der entsprechenden Netzwerke des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Duisburg spielen, in denen wichtige zivilgesellschaftliche Akteure vertreten sind. Des Weiteren können die bereits im aktuell laufenden Projekt arbeitenden Kooperationspartner eingebunden und gegebenenfalls auch auf deren jeweilige Kommunikationsforen zurückgegriffen werden.


Da wir uns nicht unmittelbar an die Bevölkerung wenden, heißt Öffentlichkeitsarbeit für uns in erster Linie Fachöffentlichkeitsarbeit.


Folgende Produkte werden im Verlaufe des Projektes entstehen und über das RISP und die KP, deren Internetpräsenz, Netzwerke und Kommunikationsforen verbreitet werden:


- Dokumentation der geplanten Diskurs- und Feldanalyse- Konzepte zur Zugangserschließung schwer zugänglicher linker Jugendmilieus- Dokumentation von mindestens zwei Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention


11. Qualitätssicherung


Die Qualitätssicherung wird in allen Projektphasen erfolgen:


Die bereits gewonnenen Kooperationspartner werden in die Diskurs- und Feldanalyse miteinbezogen.


Die Expertengespräche und Tiefeninterviews in der 2. Phase des Projekts stellen sicher, dass die (hochschul)politischen Organisationen und Institutionen in die Planung und Ausgestaltung des Vorhabens aktiv mit eingebunden werden.


Durch die aktive Mitarbeit der verschiedenen Kooperationspartner aus der kommunalen Bildungs- und Begegnungsarbeit wird sichergestellt, dass die Perspektive der professionellen Praktiker aus der Hochschule und Sozialarbeit bereits bei der Planung der Präventionsangebote Berücksichtigung findet.


Zur Qualitätssicherung in der dritten Projektphase gehört vor allem, dass die Maßnahmen mit den Zielgruppen gemeinsam erprobt werden. Aufgrund der Probephase und der Rückmeldungen werden die Angebote überarbeitet und dokumentiert. Durch die Erprobung werden also diejenigen, für welche die Angebote letztlich konzipiert werden, unmittelbar und aktiv in das Projektvorhaben eingebunden.


Die Konzeption als Tandemprojekt mit Wissenschaft-Praxis Austausch und Akteuren aus Politischer Bildung, Hochschule und Sozialarbeit dient der Qualitätssicherung und (Selbst-)Evaluation über alle Projektphasen hinweg.


12. Verstetigungs- und Disseminationsstrategien


Das RISP beabsichtigt, über die Projektlaufzeit hinaus in dem Themenfeld “Linke Militanz und Antisemitismus in heterogenen Jugendmilieus” tätig zu sein. Das Modellvorhaben soll uns neue Zugänge zu bisher schwer erreichbaren Zielgruppen erschließen, für die in Zukunft nicht nur weitere Präventionsangebote zu entwickeln sind. Vielmehr müssen diese auch in deren organisatorischem Umfeld implementiert und zu einem selbstverständlichen Bestandteil in ihrem Netzwerk werden.


Zur Verstetigung und Verbreitung der Projektergebnisse ist die Überführung der Maßnahmen zur Radikalisierungsprävention in die Strukturen der beteiligten Partnerinstitutionen vorgesehen.


Hierzu ist es erforderlich, die Partner bei der Entwicklung der Zugänge und bei der Erprobung der konzipierten Maßnahmen von Anfang an einzubeziehen und die alltagspraktischen institutionsinternen Abläufe zu erfassen. Insofern sind vorgefertigte, oktroyierte pauschale Angebote zu vermeiden. Vielmehr sind die Maßnahmen von Anfang an gemeinsam zu entwickeln und in methodischer, didaktischer wie fachlich-pädagogischer Hinsicht fortlaufend zu evaluieren und zu modifizieren. Die genannten Voraussetzungen tragen wesentlich dazu bei, bedarfsgerechte und passgenaue Präventions- und Fortbildungskonzepte zu erstellen und für je verschiedene Institutionen und Zielgruppen anwendbar zu gestalten. Nach Entwicklung der Maßnahmen auf Grundlage der empirischen Ergebnisse durch die Diskurs- und Feldanalyse (Multiplikatorenschulung, Peer-to-peer Coaching für Studierende und Fortbildungsangebote für Schulpsychologen, Schulsozialarbeitende, LehrerInnen und Eltern) sollen diese in den Einrichtungen mit den jeweiligen Zielgruppen erprobt und in dort bestehende Maßnahmen integriert werden. Ziel ist die kontinuierliche Weiterführung der in dem Projekt erarbeiteten Präventions- und Fortbildungsmaßnahmen vor Ort und die Übernahme in die Regelstruktur der Kooperationspartner.


13. Erfahrungen des Projektträgers mit Radikalisierung


Das RISP ist seit 35 Jahren landes-, bundes- und europaweit in der Sozialforschung und Politikberatung aktiv. Die Forschungsgruppe Migration und interkulturelle Kommunikation befasst sich seit 2001 mit Fragen des interkulturellen und interreligiösen Zusammenlebens in der Integrationsgesellschaft. Im Mittelpunkt stehen die Bereiche: (1) Migration und Integration, (2) Interkulturelle Pädagogik sowie (3) Religionspolitologie und kulturreligiöse Konflikt- und Extremismusforschung. In zahlreichen Modellprojekten haben wir für Menschen mit wie ohne Zuwanderungsgeschichte im Kooperationsverbund mit Trägern der schulischen wie außerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung Präventionsangebote gegen säkular wie religiös bedingte Formen von GMF erstellt. Dabei haben wir uns theoretisch, empirisch und pädagogisch-praktisch mit Nationalismus, Rechts- und Linksextremismen, Transzendenzskepsis, Islamfeindlichkeit sowie Antisemitismus einerseits und mit bildungsferner Weltfremdheit, ethnisch-exklusiver Gottesbegeisterung, politisch-religiösen Fundamentalismen, Islamismus und der Politisierung von Religionen andererseits befasst. Auf der Basis der Politischen Kulturforschung und der Religionspolitologie, beides interdisziplinär ausgerichtete Teilgebiete der Politikwissenschaft, verbinden wir interkulturelle Ansätze mit interreligiösen Konzepten.


Wir verfügen über vielfältige Erfahrungen mit jungen Menschen, die im Begriff sind, sich zu radikalisieren: sowohl aus unserer aktuellen Modellprojektarbeit zu antisemitischen Denkmustern als auch aus vorangegangenen Projekten zur Ethnisierung religiös-kultureller Einstellungen und demokratiedistanten Grundhaltungen, die häufig das Komplement entweder links-anarchistischer, rechts-nationalistischer oder religiös-grundierter “radikaler” Tendenzen aufweisen. Zugang zur rechts-, links- oder religiös-radikalisierten Szene erhalten wir über unsere Kooperationspartner und immer dann, wenn es gelingt, komplexe ideologische Sachverhalte dem je verstehbaren Niveau anzupassen. Die vorfindlichen radikalen oder extremen Gesinnungen sind den Trägern selbst manchmal gar nicht bewusst. Es ist bemerkenswert, wie weit verbreitet radikalisierungsoffene und -affine Überzeugungen sind, die auf den Wunsch nach Vereinfachung, auf ein aus der Unerträglichkeit herrschender „Verhältnisse“ (gesellschaftlich, politisch, ökonomisch, kulturell) entsprungenes Ungerechtigkeitsempfinden und der Sehnsucht nach schneller, umfassender und endgültiger Problemlösung reagieren. Radikalisierung geht einher mit Selbstermächtigung. Radikalisierungsverläufe sind uneinheitlich, verweisen indes auf ähnliche Entstehungskontexte. Die Unterscheidung sicherheitsrelevanter Radikalisierung von allgemeinen jugendlichen Überschwang stellt die größte Herausforderung der präventiven Bewertung wie deradikalisierenden Intervention von bzw. bei Phänomenen des politischen und religiösen Radikalismus dar.